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Ist Gott allwissend?
 
 

Clark Pinnock und sein Verständnis der Allwissenheit Gottes

von Titus Vogt

Clark H. Pinnock (*1937 in Toronto, Kanada) ist ein einflußreicher Theologen Amerikas im ausgehenden 20. Jahrhundert. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 lehrte er über viele Jahre als Professor für Systematic Theology an großen evangelikalen Hochschulen.

Ursprünglich vertrat er nicht zuletzt in der Schriftfrage (Bibliologie), in der Lehre über das Wesen Gottes (Eigentliche Theologie) und in der Frage der Errettung des Menschen (Soteriologie) die klassisch reformierten Positionen (also: Unfehlbarkeit der Schrift; echte Souveränität Gottes inkl. echter Allwissenheit; klassische Erwählungslehre). Im Laufe der 70er Jahre begann er aber, seine Positionen zu hinterfragen und zu ändern. Dies führte in den 80er und 90er Jahren zu einer nicht geringen Kontroverse innerhalb der evangelikalen Theologenschaft Amerikas, ob denn bestimmte Positionen Pinnocks überhaupt noch als "evangelikal" bezeichnet werden könnten oder ob manches nicht gar als häretisch angesehen werden müßte, die 2003 in der Debatte gipfelte, ob Pinnock weiterhin Mitglied der Evangelical Theological Society sein könne.1 Heute gilt Pinnock als einer der führenden Vertreter des sog. "Open Theism"2.

Im Jahre 1989 erschien ein vielbeachtetes Buch mit dem Titel "The Grace of God, The Will of Man: A Case For Arminianism", herausgegeben von Clark Pinnock.3 Er selbst verfaßte den ersten Artikel, unter dem Titel: "From Augustine to Arminius: A Pilgrimage in Theology", und beschreibt in diesem seinen theologischen Werdegang.4

Auf S. 25 formuliert er in Bezug auf die Frage der Allwissenheit Gottes folgende, später von anderen häufig zitierte These: "Decisions not yet made do not exist anywhere to be known even by God. They are potential-yet to be realized but not yet actual. God can predict a great deal of what we will choose to do, but not all of it, because some of it remains hidden in the mystery of human freedom."5 Seine Frage ist nun: "Can this conjecture be scriptural?", "Kann diese Annahme biblisch sein?"6 Die Antwort auf diese Frage läßt nicht auf sich warten, denn Pinnock beantwortet sie direkt im nächsten Satz mit einem inhaltlich sehr klaren "ja", wenn er schreibt: "When I went to the Scriptures with this question in mind, I found more support than I had expected." Dann führt er einige biblische Beispiele an, die seine These aus seiner Sicht stützen. Er schließt sein Statement zu dieser Frage mit folgenden beiden Absätzen:

    "Most Bible readers simply pass over this evidence and do not take it seriously. They assume the traditional notion of exhaustive omniscience supported more by the old logic than by the biblical text. Of course the Bible praises God for his detailed knowledge of what will happen and what he himself will do. But it does not teach limitless foreknowledge, because the future will include as-yet-undecided human choices and as-yet-unselected divine responses to them. The God of the Bible displays an openness to the future that the traditional view of omniscience simply cannot accommodate.

    Thus it has become increasingly clear to me that we need a 'free will' theism, a doctrine of God that treads the middle path between classical theism, which exaggerates God's transcendence of the world, and process theism, which presses for radical immanence."

Pinnock hat sich aber nicht erst im Jahre 1989 zur Frage der Allwissenheit Gottes geäußert, sondern bereits in dem 1986 bei InterVarsity Press erschienen Buch "Predestination and Free Will: Four Views of Divine Sovereignty and Human Freedom". Dieses Buch ist bereits ein Jahr später unter dem Titel "Die Weltregierung Gottes und die Freiheit des Menschen - 4 Standpunkte" auf deutsch erschienen.7 Dort gibt es vier Kapitel mit diesen Überschriften: "Gott bestimmt, was geschieht", "Gott weiß alle Dinge", "Gott schränkt seine Macht ein", "Gott schränk sein Wissen sein". Letzteres Kapitel wurde von Clark Pinnock verfaßt. An die-ser Stelle seien einige längere Zitate aus der deutschen Übersetzung zusammengestellt, die Pinnocks Position zur Frage der Allwissenheit Gottes skizzieren.

Nachdem er ausführlicher sein Verständnis der menschlichen Freiheit definiert hat, schreibt er auf S. 156:

    "Diese harte Definition der Freiheit hat zur Folge, daß die Wirklichkeit in gewissem Maße offen und nicht geschlossen ist. Sie bedeutet, daß in der Geschichte echte Neuigkeiten auftreten können, die nicht einmal Gott voraussagen kann. Ist dem Geschöpf die Fähigkeit verliehen worden zu entscheiden, wie einige Dinge ausfallen werden, dann kann nicht unfehlbar gewußt werden, wie sie ausfallen werden. Diese Definition impliziert weiter, daß die Zukunft wirklich offen und nicht einmal dem erschöpfenden Wissen Gottes zugänglich ist. Es ist somit offenkundig, daß die biblische Lehre von der Freiheit des Menschen uns zwingt, die herkömmliche Sicht von der Allwissenheit Gottes zu überdenken."

Auf S. 157 schreibt er weiter:

    "… Kann aber die Geschichte von Ewigkeit her gewiß und unfehlbar gewußt werden, dann ist die Freiheit eine Illusion. Adam zum Beispiel hätte, als er sündigte, nicht anders handeln können, als er handelte. Das wäre jedoch unbiblisch. War es Adam nicht wirklich möglich, in jenem Augenblick auch das Richtige zu tun, dann war er überhaupt kein freier Handelnder."

In Bezug auf das Gebet formuliert er (S. 158f) recht deutliche Worte:

    "Das Gebet beweist, daß die Zukunft offen und nicht geschlossen ist. Es zeigt, daß zukünftige Ereignisse weder vorherbestimmt noch festgelegt sind. Wenn Sie glauben, daß Sie durch Gebet etwas ausrichten können, müssen Sie meinem Standpunkt zustimmen. Wenn sie nicht daran glauben, sind Sie von einer biblischen Frömmigkeit weit entfernt."

und schlußfolgert direkt im Anschluß (S. 159):

    "Die Weltregierung Gottes dürfen wir uns also weder als einen Plan vorstellen, der alles umfaßt, was jemals geschehen wird, noch als einen einzigen, vor-zeitlichen Beschluß, durch den alles festgelegt ist, ehe die Geschichte überhaupt in Gang kommt."

Gegen Ende des Artikels schlußfolgert er, "daß neu über die Attribute Gottes nachgedacht werden muß, wenn wir den Gott der Bibel erkennen möchten" (S. 161) und macht dazu "vier Vorschläge" (ebd.).

Der dritte Vorschlag bezieht sich auf die von manchen Theologen favorisierte These, daß Gott deshalb alles wissen könne, weil er außerhalb der Zeit stehe. Darauf antwortet Pinnock (S. 162f):

    "Wer Gott als zeitlos hinstellt, stellt in Wirklichkeit die ganze Bibel in Frage. Ein derartiger Vorschlag bedeutet, daß Gott kein in zeitlicher Aufeinanderfolge wirkender Handelnder sein kann, und sogar, daß jede zeitliche Veränderung eine Illusion ist. Wenn Gott in einer zeitlosen Gegenwart um die gesamte Geschichte weiß, ist unser Eindruck, daß einige Begebenheiten in der Vergangenheit, andere in der Zukunft liegen, in Wirklichkeit falsch. Was im jahre [sic] 1240 n.Chr. geschah, und was im Jahre 2097 n.Chr. geschehen wird, sind irgendwo im Lande der Zeitlosigkeit gleichermaßen gegenwärtig. Diese Idee finde ich aus zwei Gründen unannehmbar: erstens, weil sie sinnlos ist; und zweitens weil sie die Botschaft der Bibel zerstört."

Direkt im Anschluß kommt Vorschlag vier (S. 163):

    "Als viertes müssen wir die Bedeutung der Allwissenheit Gottes neu überdenken. Ein sehr hoher Prozentsatz aller Christen ist der Meinung, Gott stehe ein erschöpfendes, detailliertes Wissen über alles, sogar über die Zukunft, zur Verfügung. Das würde bedeuten, daß alles, wozu Sie und ich uns jemals entschließen, bereits in allen Einzelheiten im Verzeichnis all der Dinge, die gewiß geschehen werden, festgelegt ist. Unsere Überzeugung, tatsächlich zwischen möglichen Handlungsweisen zu wählen, wäre demnach eine Täuschung und eine Illusion. Wenn Gott heute weiß, daß Sie A und nicht B wählen werden, täuschen Sie sich, wenn Sie meinen, eine echte Wahl treffen zu können. Ich gehe sowohl mit den traditionellen Calvinisten einig, denen zufolge eine strenge Allwissenheitslehre eine strenge Prädestinationslehre nach sich zieht, als auch mit Luther, der genau diese Argument gegen Erasmus ins Feld führte. Mit C.S. Lewis und Thomas von Aquin die Zeitlosigkeit ins Spiel zu bringen, hilft nicht weiter. Wenn Gott von Ewigkeit her weiß, daß A und nicht B gewählt werden wird, ist es immer noch eine Illusion, wenn wir uns einbilden, daß es zur Zeit der Entscheidung eine echte Alternative geben werde. Handlungen, die unfehlbar vorausgewußt bzw. zeitlos gewußt werden, können - so will es mir jedenfalls scheinen - nicht im erforderlichen, biblischen Sinne frei sein."

Was das aus Pinnocks Sicht für die Lehre der Allwissenheit bedeutet, schreibt er sofort danach (S. 163):

    "Inwiefern ist aber Gott, wenn das stimmt, allwissend? Gott ist in dem Sinne allwissend, daß er alles weiß, was gewußt werden kann, genauso wie Gott allmächtig ist, weil er alles tun kann, was getan werden kann. Aber freie Handlungen sind keine Entitäten, um die man im voraus wissen kann. Es existiert buchstäblich noch nichts, was gewußt werden könnte. Gott kann zwar vermuten, was Sie nächsten Freitag tun werden, er kann es aber nicht sicher wissen, denn Sie haben es noch nicht getan."

So kommt der zu dem Schluß: "Am energischen Stil meines Aufsatzes wird der Leser gemerkt haben: Ich halte es für dringend notwenig, daß die Christen gewisse Aspekte ihres Gottesverständnisses überdenken" (S. 164).

Pinnock argumentiert insgesamt erstaunlich wenig mit biblischen Texten und Aussagen (die wenigen erwähnten Belegstellen [Texte selbst kommen gar nicht vor] stehen eher am Rande), sondern strukturell stark philosophisch. Das ist insofern nicht ganz verwunderlich, als er auf der zweiten Seite seines Aufsatzes schreibt (S. 150): "Es gibt eine Möglichkeit, diese Beziehung [zwischen Weltregierung Gottes und freiem Willen des Menschen, TV] zu verstehen, die sowohl dem biblischen Befund als auch den Forderungen des Intellekts gerecht wird". So kommt er in der Länge des Aufsatzes leider an sehr vielen Stellen nicht über bloße Postulate hinaus. Und ob man den "Forderungen des Intellekts" hier und heute tatsächlich gerecht werden kann, mag angesichts der Worte von Paulus in Röm 11,33b: "Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!" fraglich bleiben.


Fußnoten:


Fußnoten:

1 Zu Pinnocks theologischer Entwicklung sei im Detail auf folgenden Artikel verwiesen: Johan D. Tangelder. "The Teaching of Clark Pinnock - Pinnock placed a greater emphasis on the humanness of scripture and the work of the Holy Spirit." http://www.banneroftruth.org/pages/articles/article_detail.php?42 (16.09.2006)

2 Vg. dazu allgemein: http://en.wikipedia.org/wiki/Open_theism, http://www.theopedia.com/Open_theism und http://www.theopedia.com/Clark_Pinnock, pro: http://www.opentheism.info und contra: http://www.monergism.com/thethreshold/articles/topic/foreknowledge.html (alles 16.09.2006)

3 Zondervan Publishing House, Grand Rapids

4 Online ist dieser Artikel unter http://www.biblical-theology.com/calvinism/pilgrim.htm (16.09.2006) zu finden.

5 "Entscheidungen, die noch nicht getroffen sind, existieren noch nicht so, daß Gott davon wissen könnte. Sie sind potentiell - stehen noch aus, sind aber noch nicht realisiert. Gott kann zu einem recht großen Teil vorhersagen, wofür wir uns entscheiden werden, aber nicht alles, denn einiges bleibt verborgen im Geheimnis menschlicher Freiheit."

6 Der ganze Absatz lautet im Original: "Therefore, I had to ask myself if it was biblically possible to hold that God knows everything that can be known, but that free choices would not be something that can be known even by God because they are not yet settled in reality. Decisions not yet made do not exist anywhere to be known even by God. They are potential-yet to be realized but not yet actual. God can predict a great deal of what we will choose to do, but not all of it, because some of it remains hidden in the mystery of human freedom. Can this con-jecture be scriptural?"

7 David Basinger und Randall Basinger (Hrsg.). Die Weltregierung Gottes und die Freiheit des Menschen - 4 Standpunkte. Verlag der Francke-Buchhandlung: Marburg, 1987