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von Titus Vogt
Sobald man sich einmal etwas eingehender mit der Sabbatfrage befaßt, stellt man fest, daß man nicht so einfach sagen kann, daß jeder, der den Sonntag hält, willkürlich das Sabbatgebot geändert habe. Dafür ist die Problematik zu diffizil.
Natürlich ist es richtig, daß z.B. in den Zehn Geboten im Hebräischen steht: "Du sollt den Schabbat heiligen." Aber dieses hebräische Wort bedeutet eben nicht nur "Sabbat" (als 7. Tag der Woche), sondern schlicht auch "Feiertag". So wird z.B. auch der große Versöhnungstag "Jom Kippur" in 3Mose 16,31 "Sabbat" genannt, obgleich er ein festes Datum hatte (10. des siebten Monats; 3Mose 16,29) und somit immer durch die Woche rotierte und so nicht nur auf den siebten Tag der Woche, sondern eben auch auf jeden anderen Tag der Woche fallen konnte.
Die allermeisten Christen gehen davon aus, daß es das Sabbatgebot sowohl einen moralischen wie auch einen zeremonialen Aspekt hat, wobei der moralische ewig gültig ist und somit auch für Christen zu praktizieren ist, der zeremoniale dagegen durch Christus am Kreuz erfüllt wurde. Dr. Thomas Schirrmacher formuliert es sehr treffend, wenn er schreibt: "daß das Sabbatgebot im Alten Testament einen zeremonialen und einen moralischen Aspekt hatte. Der zeremoniale Aspekt ist in Christus erfüllt, auch wenn er nach Röm 14 ohne Zwang von einzelnen Gläubigen teilweise weiter beachtet werden durfte. Der moralische Aspekt, der einen Siebentagesrhythmus mit einem Tag für Gottesdienst und erholsamen Rückblick auf die eigene Arbeit beinhaltet, strukturiert dagegen weiterhin die Zeit aus Gottes Sicht."1 All die Opfer- und Reinheitsvorschriften sowie auch die Bestimmung, den siebten Tages der Woche (= Samstag) zu heiligen, sind zeremoniale Vorschriften, die durch Jesus am Kreuz erfüllt wurden, so daß wir sie nicht mehr praktizieren müssen. Aber der Siebentagesrhythmus ist bereits Schöpfungsordnung, wird im Neuen Testament bestätigt und gehört - nicht zuletzt auch wegen seiner Stellung in den Zehn Geboten - selbstverständlich zum ewig gültigen Moralgesetz Gottes.
Daß das Sabbatgebot auch zeremoniale Aspekte haben muß, die in Christus erfüllt sind, machen m.E. völlig eindeutig Stellen wie Kol 2,8+16-17; Röm 14,5-6; Gal 4,9-10.2 Besonders die Erwähnung des "Sabbats" neben "Festen" und "Neumonden" in Kol 2,16 kann nichts anderes bedeuten, als daß hier mit "Sabbat" tatsächlich der Wochensabbat und nicht ein Festsabbat gemeint ist. Wenn wir uns aber "von niemanden ein schlechtes Gewissen" machen lassen sollen z.B. wegen des Sabbats, dann muß es bei aller grundsätzlichen Gültigkeit des Sabbatgebotes doch Aspekte geben, die nicht mehr notwendig zu praktizieren sind, die, wenn man sie hält aber auch nicht Sünde sind. Meines Erachtens fällt unter diesen Aspekt auch die Frage nach dem Wochentag. (Der oft gebrachte Hinweis, daß Jesus den Sabbat vollständig gehalten hat, ist für die Frage letztlich nicht entscheidend, denn Jesus hat eben auch das Zeremonialgesetz vollständig gehalten.)
Daß Christen schon sehr früh den Sonntag gefeiert haben, ist für mich der positive Beweis, daß mein oben skizziertes Verständnis der Sabbatgesetzgebung biblisch ist. Die meisten Verfechter der ‚Samstag-Heiligung' lassen häufig die ganze neutestamentliche Diskussion außer acht und setzen mit ihrer Argumentation immer erst bei Kaiser Konstantin ein. Ich behaupte nicht, daß alles, was Konstantin gesagt und angeordnet hat, mit der Bibel übereinstimmt, nur die Frage nach Sabbat/Sonntag entscheidet sich nicht an meiner Stellung zu Konstantin, sondern schlicht und einfach am Neuen Testament. Aber nun zum Sonntag im Neuen Testament: Die Jünger Jesu versammelten sich bereits ganz zu Anfang an "dem ersten Tag der Woche" (Joh 20,19), als Jesus unter sie trat. Das nächste Mal trafen sie sich "nach acht Tagen" (Joh 20,26), also wieder am selben Wochentag, wieder am Sonntag3. Nach Apg 20,7 scheint es die regelmäßige Praxis der christlichen Gemeinde gewesen zu sein, sich am Sonntag zum Gottesdienst (mit Abendmahl) zu treffen: "Als wir aber am ersten Tag der Woche versammelt waren, um das Brot zu brechen ...". Und in diesem Gottesdienst predigte Paulus das erste Mal in Troas, obwohl er bereits seit Montag die ganze Woche über da war (also auch am Samstag). Sein Gottesdienst in dieser Woche fand eindeutig am Sonntag und nicht am Samstag statt.4
Aus adventistischer Sicht wird eingewandt, daß in Apg 20,7 fälschlich "predigen" übersetzt würde (so die Lutherübersetzung). An dieser Stelle steht im griechischen "dia-legomai", was die Elberfelder sehr wörtlich mit "unterreden" übersetzt. Dieses Verb kommt im NT insgesamt 13x vor, davon allein 10x in der Apostelgeschichte. Gerade in den Kapiteln davor wird dieser Begriff für die Wortäußerung von Paulus in der Synagoge verwendet (Apg 17,2+17; 18,4+19; 19,8 [hier ist "dialegomai" das zweite Verb und steht inhaltlich parallel mit "parresimazomai", Elb. "freimütig sprechen", und "peitho", "überzeugen"], 19,9 [jetzt nicht mehr in der Synagoge, sondern "Unterredung" mit den Jüngern in der Schule des Tyrannus]). Nun, was war das anderes als eine Predigt? Sicher war diese mal evangelistischer, mal lehrmäßiger, mal apologetischer, aber alles in allem doch eine Predigt, oder? Wie auch immer: Das, was Paulus am Sabbat in der Synagoge tat, tat er am Sonntag in der Gemeinde. Sogesehen ist gerade der Begriff "dialegomai" eher eine Bestätigung der hier vertretenen These.
Nach 1Kor 16,1-2 sollte "an jedem ersten Tag der Woche" die ‚Kollekte' zusammengelegt werden (und dies galt nicht nur für Korinth, sondern Paulus erwähnt ausdrücklich auch die Gemeinden von Galatien, so daß es m.E. sicher ist, daß es sich hier um eine allgemeine apostolische Anordnung handelt). Aber die Anweisung des Paulus macht natürlich nur Sinn, wenn der wöchentliche Gemeindegottesdienst auch wirklich am ersten Tag der Woche, also am Sonntag, stattfindet.
Es ist richtig, daß 1Kor 16,1-2 nicht mit letzter Sicherheit sagt, daß das Geld quasi im Gottesdienst zusammengelegt werden sollte. Formal könnte man das "bei sich selbst" auch so interpretieren, daß die Christen an jedem Sonntag zu Hause Geld zur Seite legen sollten. Allerdings würde ich fragen, ob das dem Begriff der "Sammlung" tatsächlich gerecht wird, die ja eben an jedem Sonntag bereits geschehen soll und nicht erst, wenn Paulus kommt. Das zu Hause Zurücklegen würde man wohl eher als "[zweckgebundenes] Sparen" bezeichnen, das Zusammentragen des Geldes in der Gemeinde dagegen durchaus als "Sammlung" bzw. "Sammlungen" (nämlich jeden Sonntag). Und: Wenn das Geld zu Hause gespart werden sollte, warum ausgerechnet am Sonntag? Warum nicht am Ende der Arbeitswoche? Der Sonntag macht gerade auch bei der Annahme des häuslichen Sparens eigentlich nur Sinn, wenn er eben schon an sich etwas besonderes war. Nimmt man dagegen an, daß die Sammlung in der Gemeinde vonstatten gehen sollte, würde man "bei sich selbst" inhaltlich am ehesten mit "diskret" wiedergeben. Oder anders formuliert: Wieviel jeder gab, sollte nicht der neben ihm Sitzende wissen, sondern nur er selbst - und Gott. Damit wäre diese Anweisung eine Parallele zu Mt 6,2-4.
Auch wenn in Off 1,10 vom "Herrentag" (griech: "kyriake") die Rede ist, so ist das die bis 450 n.Chr. ausschließlich von Christen gebrauchte Bezeichnung für den Sonntag. Warum sollten Christen eine besondere Bezeichnung für diesen Tag einführen, wenn dieser Tag keinerlei besondere Bedeutung für sie hatte? Wenn es aber seit den Tagen des Neuen Testaments ihr Gottesdiensttag war, macht die ganze Sache sehr wohl Sinn.
Mit diesen neutestamentlichen Gedanken sage ich nicht, daß es nun geradezu ein biblisches Gebot wäre, den Sonntag anstelle des Samstags zu "heiligen". Ich meine aber, daß es sehr wohl legitim ist.
Einer letzter Punkt, der noch angesprochen werden muß: Vertreter der ‚Samstag-Heiligung' gehen durch die Bank weg stillschweigend davon aus, daß man von der Schöpfung an durchgängig sicher sein könne, daß es einen komplett durchlaufenden 7-Tage-Wochenrhythmus gegeben habe. Wenn man sich aber ein bißchen mit dieser Materie aus kulturgeschichtlicher Perspektive befaßt, stellt man sehr schnell fest, daß die Rechnung so einfach nicht ist. Es hat in der Geschichte immer wieder große Kalenderreformen gegeben, so daß heute keiner antike Daten sicher datieren kann. Auch im Judentum hat es z.B. zur Zeit Jesu sogar mehrere konkurrierende Kalender gegeben, wobei (mindestens) einer davon - ausgerechnet der der extrem konservativen Qumrangemeinschaft - immer wieder beim Jahreswechsel nicht vollständige Wochen hatte, weil das Jahr immer mit einem bestimmten Wochentag anfangen mußte. Auch später hat es im Judentum Kalenderreformen gegeben. Im ‚dunklen Mittelalter' (6.-8. Jh. n.Chr.) haben wir sowenige Zeugnisse der europäischen Geschichte, daß manche ernsthaft die These in Erwägung ziehen, daß es diese Jahrhunderte gar nicht gegeben habe. Wer will angesichts dieser Quellenlage etwas Sicheres über eine durchlaufende 7-Tages-Woche sagen. Das ist völlig unmöglich. Wenn dies tatsächlich alles so unsicher ist, stellt sich die Frage, wer denn eigentlich festlegt, welches der erste oder der siebte Tag der Woche ist? In Deutschland jedenfalls (wie auch in anderen europäischen Ländern) hat der Gesetzgeber beschlossen, daß der Sonntag der siebte Tag der Woche ist. Wenn es denn biblisch notwendig wäre, tatsächlich den siebten Tag der Woche zu feiern, und es gleichzeitig aber nicht sicher ist, an welchem Wochentag wir uns seit der Schöpfung befinden, ist für mich die Entscheidung des Staates nicht unwichtig - dann bin ich meiner "Obrigkeit" einfach "untertan" (Röm 13,1).
Zum Schluß: In den meisten Fällen haben diese Kalenderreformen sicher keine Änderung des Wochenrhythmusses mit sich gebracht. Aber es hat eben auch das gegeben. Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen: Kaiser Konstantin hat im Jahre 321 eine Kalenderreform durchgeführt, die mit einer Änderung des Wochenrhythmusses einherging. Ich zitiere: "Zu einem nicht näher bekannten Datum des Jahres 321 vertauschte er den Tag des römischen Reichsgottes Jupiter (Iovis dies), ursprünglich dem Donnerstag entsprechend (man vergleiche ‚jeudi' im Französichen [sic!] und ‚giovedi' im Italienischen), in den ‚Tag des Herrn', (feria prima), den Sonntag. Lange Zeit war bei der Rückrechnung von Daten dieser Umstand nicht berücksichtigt worden. Sämtliche Wochentagsdaten vor 321 v. Chr. [sic!, muß n. Chr. heißen, TV] verschieben sich um drei Tage. ... Diese Regelung, eigentlich eine ungeheure Unterschiebung der heidnischen Sonnenverehrung in den christlichen Glauben, fand Eingang in das von Konstantin einberufene Konzil von Nizäa im Jahre 325. Gläubige Christen, die das erkannten, hielten noch lange an der alten Zählweise fest, bis Kaiser Justinian (527-565) einen Schlußstrich zog."5 - Einmal vorausgesetzt, daß dieses die einzige Kalenderreform dieser Art in der Menschheitsgeschichte wäre, dann müßten Adventisten (und alle anderen Sabbat-Vertreter) eigentlich am Mittwoch Sabbat feiern, alles andere wäre eigentlich nur der willkürlichen Kalenderänderung Konstantins gefolgt.
Fußnoten:
1 Thomas Schirrmacher. Ethik (2 Bände). Hänssler-Verlag: Stuttgart, 1994. hier: Bd. 2, S. 146f (Hervorhebung im Original)
2 Zu diesen Texten vermisse ich leider eine detaillierte und überzeugende Auslegung der Adventisten.
3 Die Formulierung "nach acht Tagen" dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach identisch sein mit "am achten Tag", wie eine Vielzahl von analogen Formulierungen erwarten läßt. Besonders in der Passionsgeschichte haben wir für die Angabe der Zeit, die Jesus im Grab war, verschiedene Ausdrücke: "nach drei Tagen", "in drei Tagen", "am dritten Tag", die alle synonym im Sinne von "am dritten Tag" gebraucht werden (vgl. dazu im Detail den Artikel Drei_Tage.pdf). Der Hintergrund ist der, daß in der Antike der Ausgangstag häufig einfach mitgezählt wurde, was selbst in unserer Sprache z.T. noch gegeben ist. Wenn wir sagen "heute in acht Tagen" weiß jeder, daß "heute in einer Woche", also genaugenommen "heute in sieben Tagen" gemeint ist. (Vgl. insgesamt dazu Theodor Zahn. Kommentar zum Neuen Testament. A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung: Leipzig, 1912, 4. Auflage. Bd. 4. Johannesevangelium. S. 680. Weitere ausführliche Details finden sich in: Theodor Zahn. Skizzen aus dem Leben der alten Kirche. A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung: Leipzig, 1898, 2. Auflage. S. 356f [= Fußnote 20 zum Kapitel "Geschichte des Sonntags vornehmlich in der alten Kirche"]; Theodor Zahn [1838-1933] gilt bis heute als einer der bedeutendsten Exegeten des Neuen Testementes und zu-gleich als einer der besten Kenner der alten Kirche. [Details unter www.bautz.de/bbkl/z/zahn_t.shtml])
4 Natürlich ist Paulus häufig am Samstag in die Synagoge gegangen, um zu predigen. Dies würde ich aber eher unter seine Arbeit als Missionar rechnen. Einen Beleg für einen Gottesdienst der Gemeinde an einem Samstag gibt es m.W. nicht.
5 Hannes E. Schlag. Ein Tag zuviel - Aus der Geschichte des Kalenders. Verlag Königshausen & Neumann: Würzburg, 1998. S. 156
Dieser Artikel ist auch bei www.sabbat.info verzeichnet.
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