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von Titus Vogt
In der altjüdischen/rabbinischen Lehre war das Thema "Schutzengel" recht weit verbreitet. Man war sich im Grundtenor einig, daß es Schutzengel gäbe. In den Details gingen die Meinungen aber weit auseinander: manche meinten, jeder hätte nur einen, andere meinten zwei (manche wieder: zwei gute; andere: einen guten und einen bösen), andere meinten: je nach Erfüllung der Gebote bis zu mehreren tausend usw.
Um so erstaunlicher ist es, daß das Neue Testament diese spezielle Frage kaum aufnimmt. Zwar kommen Engel an sich recht häufig vor (der Begriff selbst insgesamt 176 mal), das konkrete Thema Schutzengel / persönliche Engel dagegen SEHR selten.
In Apg 12,15 haben wir einen Beleg für diese landläufig Meinung, daß jeder seinen Schutzengel hat ("Da sprachen sie: Es ist sein Engel.") Damit ist noch keine ntl. Lehre begründet, es ist zunächst lediglich der Hinweis, daß die Jünger Jesu in dieser Frage offensichtlich in der Grundaussage ganz ähnlich dachten wie das restliche Volk.
Dann gibt es wiederum eine einzige Stelle, die Kronzeuge ist für These, daß jedes "Kind" seinen Schutzengel hat. So heißt es in Mt 18,10: "Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel." Hier haben wir es klar mit einer lehrmäßigen Aussage zu tun (zudem direktes Wort Jesu). Genaugenommen muß man hier zunächst sagen, daß von den Menschen ("diese Kleinen") wie von den Engeln ("ihre Engel") in der Mehrzahl die Rede ist. Man könnte das also auch problemlos kollektiv verstehen, also: eine ganze Gruppe von Engeln ist für alle "diese Kleinen" zuständig - wie auch immer die konkrete ‚Arbeit' dann aussieht. Allerdings stellt sich noch die Frage, ob "diese Kleinen" tatsächlich einfach ‚nur' Kinder sind. Vom unmittelbaren Zusammenhang her (Mt 18,1-5) könnte es sich bei den "Kleinen" durchaus um "Kinder" handeln, andererseits ist das Kind in Mt 18,2ff aber auch in besonderer Weise ein Sinnbild für etwas Kleines in Antwort auf die Frage: "Wer ist der Größte im Himmelreich" (V. 1). Wenn man diesen Gedanken weitergeht, findet man in Mt 10,42 ebenso das Wort "Kleine" (meist mit "Geringer" übersetzt - im griech. steht aber sowohl in Mt 10,42 wie in Mt 18,6+10 das Wort "mikros"), wobei sich hier die Ausleger recht einig sind, daß das Wort "Kleiner/Geringer" eine Bezeichnung für "Jünger Jesu" ist. Sollte diese weitere Bedeutung von "diesen Kleinen" zutreffen, wäre Mt 18,10 also nicht nur auf Kinder, sondern auf alle Gläubigen zu beziehen.
Durch die allgemeine Formulierung in Mt 18,10 (also besonders durch den Gebrauch des Plural) scheint mir dieser Text aber nichts wesentlich weitergehendes zu sagen, als es die restliche Bibel tut (und das wohlgemerkt auf dem Hintergrund der o.g. Spekulationen!): Engel sind "dienstbare Geister" für die Gläubigen (Hebr 1,14). Die atl. Parallele finden wir in Ps 91,11f: "Denn er hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest." So finden wir immer wieder stellen, wo Engel den Menschen unmittelbar helfen (vgl. z.B. 2Kön 6,16f; Dan 10,13+21; Apg 5,19). In der Geschichte Apg 12,7-11 wird aber zugleich deutlich, daß der Engel nach getanem Dienst Petrus wieder verlassen hat (V. 10), zumindest dieser Engel also keiner von den ‚klassischen' Schutzengeln war - obwohl ich das auch für die o.g. Geschichten annehme, auch wenn es dort nicht explizit genannt ist.
Summa summarum: Die beiden Stellen Mt 18,10 und Apg 12,15 sind die einzigen im ganzen NT, die dieses Thema explizit ansprechen. (Manche würden hier noch 1Kor 11,10 anführen. Da aber der ganze Abschnitt einer der schwierigsten des NT überhaupt ist und gerade auch dieser Vers nicht gerade besonders eindeutig und klar ist, kommt er für mich bei der vorliegenden Fragestellung als Zeuge für persönliche Schutzengel nicht in Betracht.) Engel sind dazu da, daß die den Heiligen dienen. Dazu gehört sicher auch der Schutz, darüber hinaus aber eine Menge mehr (z.B. Mitteilung göttlicher Botschaften). Ob sich für die ‚Schutzfunktion' wirklich persönliche, individuelle Schutzengel gibt, ist nach der Bibel nicht sicher zu sagen. Man muß das schlicht offenlassen. Es ist möglich, wird aber nirgends explizit gelehrt. Es ist darüber hinaus auch nicht wirklich wichtig. Wenn wir uns die Kirchengeschichte ansehen - wo man ja über weite Strecken dieser These im Volksglauben häufig recht massiv gefolgt ist -, müssen wir feststellen, daß viele ein übermäßiges Interesse an ihrem Schutzengel bekommen haben, ihn fast verehren, wo doch ausschließlich Gott die Ehre gebührt (vgl. Off 22,8-9). Ob also Gott jeden Tag oder jede Stunde demselben Engel den Auftrag gibt, mich zu beschützen oder ob sich eine Anzahl von Engeln die Arbeit ‚teilen' - wir wissen es schlicht nicht. Überlassen wir das Gott.
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