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Der Zehnte
 
 
von Titus Vogt

Zunächst möchte ich ein paar grundsätzliche Gedanken zur Gültigkeit des Gesetzes formulieren und dann auf die konkrete Frage des Zehnten in neutestamentlicher Zeit eingehen.

Es ist ganz richtig, daß "Jesus das Gesetz erfüllt hat". Dies betont Jesus ja ausdrücklich am Beginn der Bergpredigt (Mt 5,17). Aber in diesem Vers wird zugleich deutlich, daß Jesus damit das Gesetz nicht abschafft ("ich bin nicht gekommen aufzulösen"). Und der neue Bund besteht ja gerade darin, daß das Gesetz nicht mehr eine von außen auf uns gelegte Last ist, sondern daß dieses Gesetz in unsere Herzen geschrieben ist. Es ist kein anderes, kein inhaltlich neues Gesetz, es ist die "Torah" des Alten Testamentes (vgl. Jer 31,33 [hier explizit "Torah" = "Gesetz"]; Hes 11,19-20; 36,26-27; Hebr 8,10). Dies läßt sich auch nicht mit Hinweis auf das Liebesgebot abschwächen, denn die Liebe ist die Erfüllung, nicht die Ablösung des Gesetzes.

    Die Liebe steht deshalb nicht einfach "über dem Gesetz" oder gar in Opposition zum Gesetz. Die Liebe (zu Gott und den Menschen) ist vielmehr das erste Gebot, aus dem sich heraus alle anderen Gebote ergeben (Mt 22, 37-40; vgl. 19,18-19). Und das war auch im Alten Testament nicht anders, ist doch das Doppelgebot der Liebe nichts anderes, als Zitat aus dem AT. Ebenso schreibt Paulus, daß das Gebot zur Nächstenliebe die Gebote "du sollst nicht ehebrechen, ... nicht töten, ... nicht stehlen, ... nicht begehren, und was da sonst an Geboten1 ist," "zusammenfaßt" (Röm 13,9). Gemäß der Liebe zu handeln ist somit keine Alternative zum Halten der Gebote, im Gegenteil: "Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes" (Röm 13,10).

Es verwundert deshalb nicht, daß die Basis der Ethik des Neuen Testamentes nichts anderes ist, als das alttestamentliche Gesetz. Wenn Paulus die Gemeinden ermahnt (v.a. in der jeweils zweiten Hälfte seiner Briefe), so nennt er eben das Sünde, was das AT für Sünde hält.

Wir sind also der Überzeugung, daß das alttestamentliche Gesetz noch vollständig gilt und heute immer noch der Maßstab ist, um festzustellen, was Sünde ist und was nicht (vgl. Röm 3,20; Röm 7,7). Nun gibt es aber im Neuen Bund eine wichtige Änderung: die Praxis hat sich für einen Teil des Gesetzes völlig geändert. Vom neuen Testament her ist völlig klar, daß wir Beschneidung, Opfergesetze, Speisegesetze, Reinheitsgebote etc. nicht mehr praktizieren müssen.2 All diese "Zeremonialgesetze"3 sind mit Jesu Tod am Kreuz ein für allemal und gültig und endgültig erfüllt. Es ist zwar keine Sünde, sich z.B. beschneiden zu lassen (vgl. Apg 16,3), aber es ist eben kein Gesetz mehr, sich beschneiden zu lassen (Gal 5,6). Das "Moralgesetz" dagegen (z.B. die "zweite Tafel" der Zehn Gebote) erfüllt Christus durch den Heiligen Geist in uns (vgl. Röm 8,3-4), es ist also für uns Christen unverändert der ethische Maßstab.

Wenn Paulus in Gal 5,3 schreibt, daß, wer sich beschneiden läßt, das ganze Gesetz halten muß, so setzt er sich hier mit Leuten auseinander, die genaugenommen eine Rechtfertigung aus Gesetzeswerken und nicht aus Gnade vertraten. Wer aus Werken gerecht werden will, muß tatsächlich alle Gebote Gottes halten inklusive aller Zeremonialgesetze.

Zusammenfassend kann man sagen: Das alttestamentliche Moralgesetz ist der ewiggültige und somit auch heute entscheidende ethische Maßstab. Er hat sich im Zuge der Errichtung des Neuen Bundes nicht geändert. Eine Änderung des Gesetzes ist vielmehr nur dort anzunehmen, wo sie uns im NT ausdrücklich gelehrt wird (vgl. z.B. Hebr 7,12 und die Details im Kontext). Jesus hat mit seinem Kommen nicht das alttestamentliche Gesetz vollkommen beiseite getan um anschließend ein neues, vom alttestamentlichen Gesetz unabhängiges Gesetz aufzustellen. Der vielfach vertretene Gedanke, daß im Neuen Bund nur die Gesetze gelten würden, die im NT ausdrücklich erwähnt werden, entspricht deshalb unseres Erachtens nicht der biblischen Lehre. (Im übrigen würde man da im Detail auch in gewaltige Schwierigkeiten kommen. So wird z.B. das Verbot von Sodomie [3Mose 18,23] nirgends im NT wiederholt. Gilt es deswegen nicht mehr? Ist Sodomie deshalb heute keine Sünde mehr?)

Auf der eben geschaffenen Basis möchte ich nun noch ein paar Gedanken zum Zehnten weitergeben. Zunächst ist es natürlich richtig, daß alles, was wir haben, von Gott kommt, und wir so für alles nur Haushalter und Verwalter sind. Aber obwohl das so ist, fordert uns Gott weder im AT noch im NT dazu auf, Ihm alles zu geben - was praktisch ja auch gar nicht geht. Vielmehr setzt Er für alle nur den Zehnten fest. Und der Zehnte ist eben keine für alle gleich hohe Kopfsteuer, sondern wird je nach Einkommen ("Gedeihen" [1Kor 16,2]4), eben prozentual, berechnet. Darüber hinaus gab es natürlich im AT wie auch im NT die Aufforderung, über den Zehnten hinaus freiwillig und großzügig weitere Mittel z.B. für die Armen zu spenden. Auf diese über den Zehnten hinausgehenden freiwilligen Spenden bezieht sich m.E. 2Kor 9,7. Natürlich sollen wir auch den Zehnten mit fröhlichem Herzen geben, aber 2Kor 9,7 sagt zum Zehnten (ob abgeschafft oder weiterhin gültig) nichts Explizites.

Daß der Zehnte auch im NT gilt, ergibt sich aus zwei Tatsachen. Erstens ist er schlicht nirgends aufgehoben oder abgeändert und gehört deshalb (zumindest als Prinzip) zum ewiggültigen Moralgesetz.

Zweitens gibt es eine Reihe neutestamentlicher Stellen, die den Zehnten direkt oder indirekt bestätigen. Allen voran ist natürlich Mt 23,23 zu nennen (im Prinzip ein Teil der Auslegung von Mt 22,21). Hier bestätigt Jesus ausdrücklich die fortdauernde Gültigkeit des Zehntengebotes. Wollte man hier sagen (wie verschiedentlich schon gehört), daß diese Aussage, weil vor Karfreitag geschehen, gewissermaßen noch in die alttestamentliche Zeit gehöre, müßte man fast alles, was Jesus gesagt hat, als für uns nicht relevant hinstellen (z.B. die Bergpredigt), denn der Großteil der Berichte der Evangelien bezieht sich auf die Zeit vor Karfreitag.

Weiterhin ist Hebr 7 von entscheidender Bedeutung. Hier wird deutlich, daß der Zehnte nicht erst Teil des mosaischen Gesetzes war, sondern zuerst bei Melchisedek bezeugt ist. Und Jesus wird hier ausdrücklich mit Melchisedek parallel gesetzt (manche Ausleger gehen aufgrund dieser starken Identität sogar davon aus, daß Melchisedek letztlich Christus im AT war [ganz ähnlich wie der "Engel des Herrn" im AT] - und ich halte diese Auslegung für ziemlich plausibel). In Vers 8 wird es sehr deutlich: Hier steht das levitische Priestertum, welches bald vergehen wird, weil es im Neuen Bund keine Notwendigkeit mehr hat (Hebr 7,12+20b), als Empfänger des Zehnten einem anderen Empfänger des Zehnten gegenüber, "von dem bezeugt wird, daß er lebt" - und das ist niemand anderes als Jesus selbst. Der Zehnte gehört also zum Wesen des Priestertums nach der Ordnung Melchisedeks, welches Jesus nach der Verheißung (Ps 110,4b; Hebr 7,17) und dem Eid (Ps 110,4a; Hebr 7,21) inne hat.

Als letztes sei noch kurz auf 1Kor 9,13-14 verwiesen. Dort leitet Paulus das Recht (bzw. die Pflicht5) auf Bezahlung der Verkündiger des Evangeliums aus der entsprechenden Regelung zur Versorgung bzw. Bezahlung der Priester und Leviten des Alten Bundes ab. Priester und Leviten wurden aber vom Zehnten bezahlt und versorgt. Wenn der Zehnte als Teil des Moralgesetzes sowieso gilt, ist es kein Wunder, daß Paulus nun im und für den Neuen Bund analog zur alttestamentlichen Regelung erläutert, was mit diesem Geld (u.a.) zu geschehen hat.

So viel zum allgemeinen Grundsatz, zum Prinzip des Zehnten. In der Frage der konkreten Ausführung gehen die Meinungen allerdings etwas auseinander. Hier sind es v.a. zwei Fragen, die immer wieder gestellt werden.

Erstens: Soll man vom Brutto- oder Netto-Gehalt den Zehnten rechnen? Diese Frage läßt sich kaum abschließend entscheiden, denn zum einen hat sich unsere ganze Einkommensstruktur seit biblischen Zeiten völlig verändert, zum anderen nimmt das NT zu diesen Detailfragen praktisch nicht Stellung. Deshalb gibt es (vermutlich) in den meisten Gemeinden keine verbindliche Regel, ob man nun den Zehnten vom Brutto- oder vom Netto-Gehalt gibt. Das ist in aller Regel auch nicht so wichtig, geben doch die meisten Christen über den Zehnten hinaus sowieso noch weitere Opfer.

Zweitens: Wer soll den Zehnten bekommen, ausschließlich die Ortsgemeinde - oder kann es auch ein christliches Werk sein? In Mal 3,10 gebietet Gott, daß der "volle Zehnte" in sein "Vorratshaus" gebracht werden soll. Dies ist wohl aber am ehesten das zentrale "Schatzhaus" beim Tempel in Jerusalem gewesen, wie praktisch alle relevanten Stellen deutlich machen. In der Praxis hieß das natürlich gleichwohl, daß der Zehnte im Normalfall vor Ort an die jeweiligen Leviten und Priester gegeben wurde, die wiederum ihrerseits einen Zehnten an den Tempel, eben an das "Vorratshaus", zahlten (Neh 10,39). Nun stellt sich die Frage, was das für uns in neutestamentlicher Zeit bedeutet: Optimal ist es sicher, wenn der Zehnte einfach in die Ortsgemeinde gegeben wird und von dort aus all das finanziert wird, was Gott damit finanziert haben möchte. Ein absolutes Gesetz, daß der Zehnte definitiv ausschließlich an die Ortsgemeinde zu geben ist, kann man aber von den biblischen Texten her wohl kaum behaupten. Denn gerade wenn man Mal 3,10 als maßgebliche Leitlinie eben auch für die neutestamentliche Gemeinde ansieht - wie es ja in vielen Gemeinden üblich ist -, würde letztlich jede Zahlung des Zehnten innerhalb des Reiches Gottes diesem Text gerecht werden.

Als letztes noch ein persönlicher Gedanke. Der Zehnte ist keine Ordnung Gottes, die uns Angst machen sollte. Vielmehr ist es meines Wissens das einzige Gebot, wo so ausdrücklich dasteht, daß wir Gott prüfen sollen, ob er uns nicht Seinen Segen in reichem Maße vom Himmel her schicken wird, wenn wir treu seinem Gebot folgen (Mal 3,10). Ich kenne niemanden, der sich auf dieses Wagnis eingelassen hat - auch wenn er sehr wenig Geld hatte -, den Gott enttäuscht hätte. Gott ist treu. Und Er fordert uns heraus, Ihn zu prüfen. Was für ein großer Gott!


Fußnoten:

1 also alle Gebote, die inhaltlich mit den Geboten der sogenannten zweiten Tafel der Zehn Gebote in Zusammenhang stehen (siehe auch unten zum "Moralgesetz")

2 Der Hebräerbrief ist die umfangreichste Auseinandersetzung mit diesem Thema. Der Schreiber fügt Beispiel an Beispiel, um uns zu zeigen, wie Jesus das Zeremonialgesetz erfüllt hat.

3 zur Unterscheidung von Zeremonial- und Moralgesetz in der Bibel vgl. 1Sam 15,22; Spr 21,3; Am 5,22+24; Jes 1,10-17; 1Kor 7,19; Röm 2,25

4 Von diesem Begriff um vom Gesamtzusammenhang her ist es m.E. naheliegend, daß Paulus hier das wöchentliche Zusammenlegen des Zehnten anspricht.

5 Gott hat "verordnet", daß die "die das Evangelium verkündigen, vom Evangelium leben"