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Zur Frage eines Zwischenzustandes
 
 
von Titus Vogt

Zur Frage, was mit einem Menschen (bzw. dessen Seele) geschieht, wenn er stirbt, gibt es unterschiedliche Interpretationen. Das ist allgemein bekannt. Manche versuchen, die These eines Seelenschlafes mit den bekannten Stellen aus dem Buch Prediger (9,5; 3,19-21) zu begründen. Ganz grundsätzlich muß aber zunächst gesagt werden, daß jede Bibelstelle und besonders eine, die sehr absolut klingt, unbedingt in ihrem jeweiligen Zusammenhang ausgelegt werden muß. Es ist immer zu prüfen, worauf sich eine Aussage genau bezieht. Wenn Paulus z.B. an die Thessalonicher schreibt, daß ihr Glaube "an allen Orten" bekannt geworden ist (1Thess 1,8) oder daß der Glaube der Gemeinde in Rom "in der ganzen Welt" verkündigt wird (Röm 1,8), meint Paulus natürlich nicht, daß z.B. die Chinesen oder Indianer schon davon gehört haben - obgleich man das annehmen müßte, wollte man den Text (mit unserem Wissen und in unserem Kontext) formal wörtlich verstehen. Jedem ist klar, daß Paulus sich hier bestenfalls auf die damalig bekannte Welt, vielleicht sogar ‚nur' auf das Römische Reich bezieht. So muß man aber auch bei den genannten Stellen aus dem Buch Prediger prüfen, worauf sie sich beziehen. Wenn es z.B. in Pred 3,19 heißt: "Der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh", können und dürfen wir das keinesfalls absolut verstehen. Der Mensch ist nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, er ist deshalb ein verantwortliches Wesen, er hat Gott als Gegenüber - all das trifft auf Tiere definitiv nicht zu. Die Aussage aus Pred 3,19 bezieht sich ‚nur' auf die rein biologischen Gegebenheiten - auch wenn das dort nicht ausdrücklich steht. Und da ist natürlich nicht zu leugnen, daß der Mensch von seinem Bauplan her besonders viele Gemeinsamkeiten mit den Säugetieren hat. Aber dieser Text taugt nicht, um irgend etwas Verläßliches über die Frage nach Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung, einem Seelenschlaf o.ä. zu erfahren. Ähnlich verhält es sich mit Pred 9,5. Solange der Mensch lebt, weiß er, daß er sterben muß. Und solange hat auch die Möglichkeit "weise zu werden zur Seligkeit" (2Tim 3,15). Dieses Wissen hat der Tote nicht mehr. Er hat keine Möglichkeit mehr umzukehren. Es ist alles entschieden. Mehr sagt der Text zunächst nicht aus. Wir dürfen die zweite Vershälfte inhaltlich nicht von der ersten losgelöst interpretieren.

Denn daß Menschen auch nach dem Tod nicht einfach bewußtlos sind, geht aus anderen Stellen hervor, die eindeutiger und klarer sind, als die genannten Predigerstellen. Wenn in Off 6,9-11 von den "Seelen" der Märtyrer die Rede ist, die beständig vor dem Thron Gottes rufen - und das ist vor der allgemeinen Auferstehung -, so schlafen die gerade nicht. Und dieser Text ist auch kein Gleichnis, so daß man sagen könnte, auf diesen Aspekt käme es nicht an. Für mich gehört hier aber auch die Geschichte vom armen Lazarus und dem reichen Mann her. Das ist ein Gleichnis, aber ich meine, daß dieses keinen Sinn macht, wenn man von einem Seelenschlaf der Menschen ausgeht. Man könnte andere Stellen nennen. Für mich sind diese klarer und eindeutiger als die o.g. Predigerstellen, so daß dies ein zusätzliches Argument für die o.g. Auslegung ist - ganz nach dem reformatorischen Grundsatz: Die Schrift legt die Schrift aus und unklare, mehrdeutige Stellen müssen im Licht der klareren, eindeutigeren Stellen interpretiert werden.

Als weiteres Argument wird genannt, daß der Mensch als ganzes eine Seele ist. Das ist richtig. Das bestreitet niemand. Die Bibel sieht den Menschen ganzheitlicher als viele, die heute Ganzheitlichkeit propagieren. Aber es ist andererseits auch wahr, daß die Bibel selbst zwischen Leib und Seele oder Leib und Geist, zwischen Materiellem und Geistigem unterscheidet (z.B. Röm 8,10; 1Kor 7,34; 1Thess 5,23; Jak 2,26). Besonders deutlich wird das gerade in Bezug auf den Tod in Mt 10,28: "Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle." Die Seele kann man eben nicht einfach töten. Mit dem irdischen Tod ist zwar der Leib tot, nicht aber die Seele. Ganz ähnlich heißt es in Pred 12,7: "Denn der Staub muß wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat."

Auch der Hinweis auf das "Schlafen" in 1Thess 4,15 ist durchaus kein zwingendes Argument. Es ist richtig, daß das entsprechende griechische Wort zunächst einfach "(ein)schlafen" bedeutet. Aber es wird dann vielfach in umschreibender Weise für "sterben" benutzt - genauso, wie wir es in Anlehnung an den biblischen Sprachgebrauch in unserer Sprache tun. Auch wir reden häufig von "entschlafen" statt von sterben. Daß dieses griechische Wort tatsächlich diese Bedeutung hat, wenn es um den Tod geht, zeigen praktisch durchweg alle entsprechenden Belegstellen im Neuen Testament (Apg 7,60; 13,36; 1Kor 7,39; 11,30; 15,6+18+20+51).1 Von diesen Belegstellen her ist auch die Bedeutung in 1Thess 4,13-15 klar. Auch hier geht es um die gestorbenen Gemeindeglieder, um die "Entschlafenen" - wie alle Bibelübersetzungen auch korrekt wiedergeben.

Die Frage nach der "ewigen Qual" ist sicher nicht in einem kurzen Satz zu beantworten. Deshalb nur ein paar Anmerkungen: Die Bibel stellt das ewige Leben parallel zur ewigen Strafe (z.B. Mt 25,46). Wenn aber die ewige Strafe zeitlich begrenzt wäre, müßte es dann das ewige Leben nicht auch sein? Das Argument mit dem Brennmaterial2 ist zwar menschlich verständlich, ist aber gleichwohl kein biblisches Argument. Die Bibel schließt vielmehr das aufhören des Feuers ausdrücklich aus (Jes 66,24; Mk 9,43+48) - auch ohne dabei das Wort "ewig" zu verwenden.

Noch ein Gedanke zu dem "heute", das Jesus zum Schächer am Kreuz sagt (Lk 23,43). Formal ist es richtig, daß es damals im Griechischen keine Satzzeichen gab und man deshalb das Wörtchen "heute" auch zur ersten Satzhälfte ziehen könnte: "Ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradiese sein." Allerdings möchte ich zwei Einwände geltend machen. Übersetzt man so, verliert das "heute" praktisch seine Bedeutung. In dem Moment, wo jemand spricht, macht es keinen Sinn, extra zu betonen, daß es gerade "heute" ist - es kann gar nicht anders sein. Allein schon deshalb sollte man dazu neigen, es bei der herkömmlichen Übersetzung zu belassen. Dazu kommt ein zweiter Grund: An allen Stellen im Neuen Testament, wo eine grammatisch zumindest ähnliche Verbindung vorkommt, gehört das Wörtchen "heute" ausnahmslos zur zweiten Satzhälfte (Mk 14,30; Lk 4,21; 19,5+9; Hebr 3,7+15; 4,7; Jak 4,13). Warum sollte das nun ausgerechnet in Lk 23,43 anders sein?

Ich behaupte mit alledem nicht, daß mit dem Tod eines Gläubigen schon alles gelaufen ist, was die Bibel sonst noch für die Zeit nach dem Tod ankündigt. Natürlich steht die Auferstehung des Leibes wie auch das (Preis)Gericht noch bevor. Aber daß der Gläubige nach seinem Tod einfach "schläft", kann ich der Bibel auch nicht entnehmen. Klare Stellen sprechen dagegen. Im übrigen meine ich, daß es weit ‚dramatischere' Fragen gibt als diese, da sie für mein Leben als Christ hier und heute keine allzu große Bedeutung hat.


Fußnoten:

1 Die wahrscheinliche einzige Ausnahme zur Regel stellt die Geschichte von Lazarus dar (Joh 11,11).

2 Brennmaterial ist irgendwann verbrannt, irgendwann zu Ende.